Genieße, wenn Du kannst und leide, wenn Du musst
Wer ein wenig im Netz stöbert, wird dieses Zitat von Goethe immer wieder in Verbindung mit Rennberichten zum UTMB finden.
Und ich schäme mich kein bißchen mich ebenfalls dieses Zitats zu bedienen, denn so sehr ich auch recherchiere und nachdenke, mir fällt kein Spruch und kein Zitat ein, dass besser zu diesem Wettbewerb passen würde.
Die Frage ist nur, wieviel Genuß und wieviel Leid steckt in der Veranstaltung? Hätte ich diesen Bericht direkt nach meinem Zieleinlauf geschrieben, wäre die Antwort wohl anders ausgefallen als heute, mit mehr als einer Woche Abstand.
Ich gebe zu, diese Woche habe ich auch gebraucht. Direkt nach dem Finish war ich einfach nur froh, im Ziel zu sein. Der Zieleinlauf war zweifelsohne ein echter Genuß. Rote Weste… endlich mein.
Doch auf dem Weg dort hin, gab es auch jede Menge… na ja, ihr könnt es euch denken.

Ein lieber „Guten Morgen Gruß“ zum Frühstück von unseren Mitbewohnern im Deutschen Haus
Es ist Freitag Morgen. Renntag.
Tag der Wahrheit. Action.
Bereits früh sitze ich am Frühstückstisch des Deutschen Haus in Chamonix mit Sanne, sowie Bernie und Jan, die heute ebenfalls laufen werden.
Unsere Mitbewohner aus dem Haus, haben uns einen ganz lieben Frühstücksgruß hinterlassen.
Bei Hu, unsere Läuferin aus Hong Kong sitzt schon im Bus und ist unterwegs zum Start.
Endlich ist es so weit. Heute werde ich mich der größten Herausforderung meines bisherigen Läufer-Lebens stellen.
Von Courmayeur in Italien wird es über Champex in der Schweiz zurück nach Chamonix, durch die wundervollen Berge rund um das Mont Blanc-Massiv gehen.
Nachdem die Strecke kurzfristig noch etwas verlängert wurde, weiß ich dass ich insgesamt 101 Kilometer und 6100 positive Höhenmeter innerhalb rund eines Tages zurück legen werde.
Der Wahnsinn! Zwar ist der CCC der „kürzeste“ der 4 Wettbewerbe im Rahmen der UTMB-Woche. Dennoch kann man ihn keines Falls als einfach, oder gar als Einsteigerlauf bezeichnen.
Um es mit Thomas Bohne’s Worten zu sagen: egal auf welcher Strecke man startet,
„das hier ist die Champions League“!
Jeder der Läufe des UTMB erfordert eine gewisse Anzahl an Punkten, um sich für das Rennen zu qualifizieren, bzw. einen Nachweis zu erbringen, dass man über ausreichend Erfahrung im alpinen und hochalpinen Gelände verfügt.
Bei mir waren das im Vorjahr der Zugspitz Supertrail und der K78 Swiss Alpine.
Darüber hinaus verlaufen 90% der Strecke des CCC über Singletrails, oftmals durch technisch sehr anspruchsvolles Gelände, man verbringt recht viel Zeit in Höhen über 2000 Metern – hochalpin, verwurzelt, verblockt, durch Bachbetten springend, kletternd.

Elektronische Chips zur Zeitmessung befinden sich sowohl an der Startnummer, als auch am Rucksack mit der Pflichtausrüstung. Beides wird abwechselnd an den Kontrollstellen gescannt.
Und nicht zu vergessen:
Die Pflichtaurüstung, die man ständig mitzuführen hat!
Das bedeutet inkl. Wasservorräten einen Rucksack von rund 5 Kilo als ständigem Begleiter.
Es gibt zwar regelmäßig Verpflegungspunkte auf der Srecke, um die eigenen Akkus und die Vorräte wieder aufzufüllen, dennoch ist der Lauf auf „Semi-Autonomie“ ausgerichtet, was bedeutet, dass man jederzeit im alpinen und hochalpinen Gelände auch alleine klar kommen muss.
Also sind ein Rucksack mit Wechselkleidung, warmer Zusatzkleidung, sowie Regen-Überbekleidung, zwei Stirnlampen für die Nacht, Erste-Hilfe-Ausrüstung, Essen und Trinken als Notrationen, sowie einige zusätzliche Ausrüstungsgegenstände wie zum Beispiel Müllbeutel, oder ein zusätzlicher Trinkbecher (Umweltschutz!) immer mitzuführen und werden während des Rennens auch stichprobenartig auf Vollständigkeit kontrolliert!
Fehlt etwas, drohen Zeitstrafen oder sogar Disqualifikation!
Umweltschutz und Safety First! Und das ist auch gut so.

Bernie, Jan und ich – angekommen in Courmayeur
Mittelerweile sind wir in Courmayeur am Start angekommen. Der kleine Ort pulsiert bereits und rund 2000 Starter und deren Begleiter drängen sich in den schmalen Talkessel hinein. Ich darf aus dem ersten Startblock starten und sortiere mich erst mal ganz vorne ein.
Ehrlich gesagt habe ich mir anfangs nichts dabei gedacht, aber spätestens als ich in mitten jeder Menge internationaler Trailrunning-Stars stehe,
wird mir klar, was hier gleich passiert.
Nach hinten ist inzwischen eh kein Platz mehr, also bleibe ich jetzt genau dort stehen und genieße die Startprozedur in vollen Zügen.

Startaufstellung
Und dann… absolutes Gänsehautfeeling.
Zunächst lauschen wir gebannt den Nationalhymnen der Schweiz, Frankeichs und Italiens. Die sympathische Renndirektorin Catherine Poletti wünscht jedem einzelnen von uns Glück für das Rennen.
Bonne Courage!
Das werde ich in den nächsten Stunden noch öfters hören. Gemeinsam recken alle Läufer die Arme in die Höhe. Eine Tanzgruppe heizt der Stimmung im Publikum noch einmal ordentlich ein. Überall stehen Zuschauer dicht an die Absperrung gedrängt. Blitzlichgewitter.
Wow, allein dafür hat es sich schon gelohnt. Und dann das, worauf alle gewartet haben. Die Musik von Vangelis. Alexander – Accross the Mountains dröhnt in unglaublicher Lautstärke aus den Boxen.
Ich habe das erste mal Tränen in den Augen. Unglaublich, wie emotional dieser Start ist. Noch nie habe ich etwas Vergleichbares erlebt.

Gänsehautfeeling – Unmittelbar vor dem Start
Countdown. Start. Jubelnde Zuschauer. Noch mehr Blitzlichter. Abgesehen davon, dass ich keine schnellen Läufer behindern möchte, will ich es jetzt voll auskosten und prügele mit der Spitzengruppe den ersten Kilometer im 4er Schnitt durch die engen Gassen von Courmayeur.
Als die Straße etwas breiter wird und in den ersten Anstieg über geht, nehme ich Dampf raus und lasse jede Menge schnelle Läufer, die es noch eiliger haben als ich, an mir vorbei ziehen ohne ihnen im Weg zu sein…
Im Nachhin kann man sich die Frage stellen, war das übertrieben? Vielleicht sogar etwas überheblich? Keine Ahnunung. Aber ich kann definitiv sagen: Das war der geilste Start und eines der krassesten Erlebnisse meiner bisherigen Läufer-Karriere 🙂 Unglaublich, diese Stimmung, diese Emotionen, allein vom Start werde ich noch lange zehren.
Ich weiß nicht, ob ich es noch mal so machen würde. Wahrscheinlich würde ich es beim nächsten mal ruhiger und vor allen Dingen vernünftiger angehen. Allerdings kann ich es jedem der mutig genug ist, nur empfehlen das bei so einer genialen Veranstaltung auch mal auszuprobieren.
Vorausgesetzt, man behindert niemanden und man läuft sich nicht gleich zu Beginn zu sehr kaputt.

Beim Start in Courmayeur ist der ganze Ort auf den Beinen
Es dauert nicht lange und die Straße wird zum Weg, dann zum Trail und dann geht es auch schon steil bergauf.
Und zwar in den folgenden 8 Kilometern gleich mal von 1100 Metern rauf auf 2550 Metern.
Der Spaß nennt sich Tête de la Tronche und ist gleich zu Beginn des Rennens der höchste Berg der Strecke.
Höher sogar,
als auf der Strecke des UTMB. Wir laufen einen „Extraschleife“, die dazu dienen soll das Feld auseinander zu ziehen, bevor es auf die Original-Strecke des UTMB geht.
Und das gelingt schon ganz gut. Echt selektives Teil. Genauer formuliert BRUTAL!
Ich habe während der Vorbereitung auf dieses Rennen unzählige Trainingskilometer hinter mich gebracht. Jede Menge Höhenmeter bin ich gelaufen. Bin oft in den Bergen gewesen und wenn Bergintervalle anstanden, habe ich immer eines mehr gemacht, um mich auf diese Herausforderung vorzubereiten.
Aber dieser Anstieg ist mit nichts zu Vergleichen, was ich im Vorfeld gelaufen bin.
Nicht mit den ganzen Bergläufen. Nicht mit dem Zugspitz-Ultratrail und auch nicht mit dem krassen Aufstieg zum über 2600 Meter hohen Weißhorn beim Swiss Irontrail.
Der Tête de la Tronche besorgt es mir gleich zu Beginn des Rennens mal so richtig.

Ausblick vom Tête de la Tronche, dem höchsten Punkt der Strecke
Ich habe das Gefühl, meine Lungen rasseln wie eine alte rostige Eisenbahn. Im Gänsemarsch werde ich von den anderen Läufern förmlich den Berg rauf gedrückt.
Pause machen? Geht nicht.
Purer Singletrail.
Überholen lassen? Geht auch nicht.
Purer Singletrail.
Also rauf. Und weiter.
Und weiter rauf. Und noch weiter.
Hat das Ding auch mal ein Ende?
Unglaublich.
Ich sehe etwas Gelbes. Eine Notkapsel für die Helfer am Gipfel.
Hier werden wir Läufer das erste mal gescannt, wir sind oben. Au Backe. Schwindel und Kopfschmerzen hatte ich noch nie bei einem Lauf.
Ich bin im Krieg. Heute wird es nicht mehr um eine Platzierung, oder um eine gute Zeit gehen. Nur noch ums nackte Überleben. Was für krasse Gedanken!
Ich denke zwar nicht ein einziges mal ans Aufgeben, dennoch beginnt sich das Gedanken-Karoussell bereits heftig zu drehen.
Mein größter Feind heißt jetzt schon „Cut Off“.
Das ist die Maximalzeit, die man benötigen darf, um die jeweiligen Kontrollpunkten zu erreichen.
Und diese Cut-Off-Zeiten sind recht ambitioniert, da sich die Läufer des CCC und des UTMB, die auf gleicher Strecke laufen, niemals treffen sollen.
Weiter geht es über eine Gipfelkette und einen leichten Downhill. Wir bleiben eine Weile deutlich über 2300 Meter und Wortspiele zu „Gratwanderung“ hämmern durch meinen Schädel. Immer noch Schwindel. Wo bleibt denn nur dieser erste verdammte Verpflegungsposten?
Die Trails hier oben sind zu meinem Glück nicht besonders technisch und bis auf ein paar steile Downhill-Passagen in denen meine Oberschenkel weinen recht gut zu laufen. Heute kann ich heute die sonst so geliebte Downhill-Lauferei nicht genießen und ich quäle mich vorwärts.

Eindrucksvolle Bergwelt im Aostatal
Dann endlich. Refuge Bertone. VP1. Wieder werden wir gescannt, ein Vorgang der bald zur Gewohnheit werden soll und der allen daheim gebliebenen Zuschauern Auskunft über Zwischenzeiten „ihrer“ Läufer gibt.
Ich poste eine Nachricht und ein Bild auf Facebook. Ich glaube im Nachhinein klang das ziemlich wehleidig. Mir geht’s gelinde gesagt gerade aber auch richtig sch*****!
Pause.
Ich organisiere mir erst einmal eine heiße Brühe und etwas kaltes zu Trinken, ein Stück Kuchen und etwas zu knabbern.
Ich sitze auf einer Bank und ein großer Teil des Feldes zieht an mir vorbei. Gedanken über die weitere Strategie.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, mache ich mich locker auf den Weg zum nächsten Verpflegungspunkt.
Nur 7 Kilometer sind es von hier, ohne größere Auf- und Abstiege. Nur jeweils ein paar hundert Höhenmeter.

Welch wunderbare Aussicht von der Hütte des Refuge Bertone
Die Bergwelt in der ich mich jetzt bewege ist phantastisch. Unglaubliche Aussicht. Ich erreiche das Refuge Bertone, meinen nächsten Verpflegungspunkt.
Kurzer Medical Check. Schön Lächeln und nix anmerken lassen.
Die Wahrheit: Noch immer Kopfschmerzen, noch immer Schwindel. Im Kopf rechne ich die maximal mögliche Pausenzeit aus, ohne in die Gefahr des Cut Off zu kommen.
Wieder Pause.
Wieder diese leckere Brühe mit Nudeln, die mir wirklich gut schmeckt und die ich im Laufe des Rennens an wirklich jedem VP zu mir nehmen werde.
Ich entschließe mich, mein gesamtes Gerödel abzulegen und mich erst einmal mit etwas zu Essen und zu Trinken in die Sonne zu setzen und lasse hunderte Läufer passieren. Dafür geht es mir jetzt endlich etwas besser und ich mache mich auf den Weg nach Arnuva.

…und dann läuft es besser
Endlich läuft es etwas besser,
wenn auch noch nicht gut.
Mich überholen nun nicht mehr so viele Läufer, aber meine Oberschenkel schmerzen noch immer.
Dann ein langer Downhill. Unterwegs treffe ich ein paar bekannte Gesichter und komme ins Plaudern mit Katharina und Wilco, die ich von der Pasta Party im Deutschen Haus kenne.
Kein Schwindel und keine Kopfschmerzen mehr. Die Beine werden lockerer, endlich geht es etwas besser.
Der erste richtig große VP in Arnuva ist erreicht.

VP Arnuva – Italien
In einem großen Zelt gibt es eine tolle Auswahl an Verpflegung.
Ich brauche neben meiner obligatorischen Brühe noch mehr Deftiges und werde schnell fündig in Form einer Brotzeit mit einem leckeren Käse und herzhafter Salami.
Ich treffe Jan und Bernie.
Jan ist richtig gut drauf.
Auch wenn ich den Verpflegungspunkt noch als erster von uns dreien verlasse, fliegt er bergauf in nur wenigen Minuten wieder an mir vorbei,
während ich kurz mit Eric Tuerlings, dem Organisator des Keufelskopf-Ultratrail plaudere, den ich als Zuschauer zufällig an der Strecke treffe.

Aufstieg zum Grand Col Ferret. Ein letzter Blick zurück ins Aostatal. Ich kann gar nicht oft genug sagen, wie wunderschön es dort ist.
Nun wird es wieder etwas steiler.
Der Aufstieg zum zweit höchsten Punkt der Strecke, zum Grand Col Ferret steht an.
Im Klartext bedeutet das, auf den nächsten 5 Kilometern ca. 750 positive Höhenmeter zu überwinden und erneut auf über 2500 Metern Höhe aufzusteigen.
Und hier zeigt sich, wie verrückt das Ultralaufen sein kann, eine Erfahrung die ich in den letzten zwei Jahren schon öfters gemacht habe.
Die körperlichen Probleme weichen.
Der Kopf setzt sich durch,
beflügelt von den wunderbaren Bildern dieser unglaublich schönen Bergwelt.
Ich habe das Gefühl, je höher es nach oben geht und je steiler es wird, ich komme immer besser in den Flow.

Grand Col Ferret 2537 Meter
Oben am Pass angekommen, ziehe ich mir erst einmal etwas Warmes an.
Runners High.
Fast schon pervers, ich habe das Gefühl nach 30 Kilometern und 2600 Höhenmetern Renndistanz,
für die ich rund 8 Stunden gebraucht habe, endlich „drin“ zu sein.
Das kenne ich doch schon vom Supertrail vor zwei Jahren,
da ging es mir fast genau so.
Hier verläuft auch die Grenze zwischen Italien und der Schweiz. Gedanklich ziehe ich einen Strich unter die Probleme der letzten Stunden und bin bereit, es auf dem Downhill in Richtung La Fouly die nächsten 10 Kilometer so richtig krachen zu lassen.
Die Schmerzen in den Oberschenkeln lasse ich an der Grenze zurück.

Auf dem Downhill nach La Fouly
Mich inspiriert die Bergwelt rundherum. Wieder Gedanken in meinem Kopf.
Aber alles positiv.
Ich genieße jetzt das Laufen.
Tolle laufbare Singletrails.
Unglaublich schöne Berge.
Der Downhill nach La Fouly ist das Schönste, was ich je in meinem Leben gelaufen bin.
Tränen in meinen Augen.
Hierhin will und werde ich unbedingt noch einmal wieder kommen.
Ich mache weiter Boden auf den Cut Off gut.
Zeit, die ich später noch gut gebrauchen kann. Zu meiner Motivation zähle ich Läufer, die ich überholen kann. 10 -20-50-70 bis La Fouly.
Der Ort kommt für meinen Geschmack fast etwas zu früh. Dennoch bin ich dankbar, als ich das große Zelt erreiche.
Hier gibt es zum ersten mal Orangen, meine Lieblinge auf den Trails.
Ich mixe eine Portion Pasta mit einem süßen Energieriegel, Trockenobst, Salami und Käse. Läufergelüste.
Ein kurzes Stretching und dann weiter auf den Downhill. Es liegen noch einmal 10 Kilometer Abwärtslaufen vor mir.
Es geht super jetzt und ich kann endich das Rennen genießen.

Praz de Fort in der Schweiz – Grenzkontrollen finden hier heute nicht statt 🙂
Während des Rennens ist es normal, dass ich meine Trinkflasche immer mal wieder an irgendwelchen Dorfbrunnen auffülle. Das ist kein Problem, überall gibt es hier sauberes Trinkwasser.
So auch an einem Wasserhahn irgendwo zwischen La Fouly und Praz de Fort an einer Kuhweide.
Nicht nachgedacht, aufgefüllt und einen tiefen Zug aus der Pulle genommen.
Ein verhängnisvoller Fehler,
wie sich in den nächsten Tagen noch herausstellen wird.
Bäh das schmeckt sch***** – Im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Brühe wieder weg gekippt, aber ein paar Schluck sind schon im Körper.

Tee und jede Menge Gartenzwerge
Weiter Richtung Ortschaft.
Begeisterte Anwohner scheinen zu wissen, dass die 14 Kilometer, die zwischen den beiden Verpflegungspunkten in La Fouly und Champex-Lac liegen, in den Bergen ganz schön lang werden können.
Daher spendieren sie uns heißen Tee aus ihrem Vorgarten.
Alles voller Gartenzwerge hier in „bester Deutscher Manier“. Die Leute sind unglaublich herzlich. Merci beaucoup. Bonne Courage! Weiter geht’s.
Aufstieg nach Champex-Lac. Nach nahezu 20 Kilometern bergablaufen endlich mal wieder aufwärts. Klappt super. Die Beine sind frei. Mehr als die Hälfte der Strecke ist bereits absolviert. Die Nacht kommt.
Je näher ich Champex komme, desto mehr Zuschauer tauchen rechts und links der Strecke auf. Wir werden gescannt. Mitten im Wald. Lagerfeuer brennen.
Lieder werden gesungen. Die Leute feiern uns. Tour de France Feeling kommt auf. Ohrenbetäubende Anfeuerungsrufe tragen mich den Berg hinauf, hin zum nächsten Versorgungspunkt.
Einer von insgesamt 3 „Assistenzpunkten“, an denen man persönliche Hilfe in Anspruch nehmen darf.

Am Verpflegungspunkt in Champex
Dazu erhalten die Begleiter Assistenzkarten, mit denen sie Zugang zu bestimmten Zonen erhalten, in denen sie die Läufer supporten dürfen.
Ich freue mich, endlich Sanne nach 12 Stunden Laufzeit zu sehen.
Ich habe genug Zeit herausgelaufen, um eine richtig große Pause zu machen.
Ich ziehe mich um für die Nacht und bekomme zwei große Teller zu essen.
Einen mit einer sensationellen Pasta, Parmesan, dieser leckeren kleinen Salami und jeder Menge Käse.
Und einen mit Bananen, Orangen, Schoki, Riegeln, Trockenobst und jeder Menge Knabbereien. Mir geht es gut, ich bin glücklich. Klasse Rennen!
Bevor ich Champex verlassen kann, muss ich noch einmal kurz durch den Ausrüstungs-Check. „Nur noch drei Berge“ rede ich mir ein und mache mich auf den Aufstieg nach La Bovine. Über La Bovine habe ich im Vorfeld viel gehört. „Körperverletzung“ soll der Aufstieg sein. 700 harte und teilweise unglaublich steile Höhenmeter erwarten mich. Durch die vielen Geschichten vorab, bin ich zwar bestmöglich mental auf den Berg eingestellt. Dennoch erwischt mich „die Bovine“ wirklich hart.
Ich denke an den „Entsafter“ der „Brockchallenge“. Hier fühle ich mich gerade „schnell-entsaftet“. Loses Geröll, Schotter und das laufen durch einige Bachbetten tun ihr Übriges.
Eben noch gut drauf, bekomme ich jetzt Probleme und ich quäle mich den Berg hinauf. So schnell kann das gehen. Und vielen Mitstreitern geht es hier ganz genau so. Immer mehr Läufer sitzen rechts und links des Wegrands, um sich kurz zu erholen. Teilweise in Schock ähnlichem Zustand und eingehüllt in ihre Goldfolie.
An einem Medical Checkpoint kurz vor dem Gipfel sehe ich fast alle Ausprägungen menschlichen Leids. Im Schein des Lagerfeuers übergeben sich Menschen. Blut strömt aus Nasen. Sanis stechen Blasen mit Kanülen auf. Wie in einem Film läuft das alles vor meinen Augen ab. Wo bin ich denn hier gelandet?
Wenn ich das sehe, geht es mir im direkten Vergleich doch ganz gut.
Am Gipfel angekommen, habe ich einen unglaublichen Ausblick auf die Lichter im Tal. Vor mir, oder besser unter mir liegt Trient. Dort ist auch der nächste große Verpflegungspunkt.
Mit dem Gedanken an ein warmes Zelt und einer längeren Pause begebe ich mich auf den Downhill.
Inzwischen ist so viel Feuchtigkeit auf den Trails, dass die verwurzelten Wege kaum mehr laufbar sind. Zu groß das Risiko eines Sturzes im Schein der Kopflampe.

Verpflegungspunkt Trient
Samstag Morgen 01.30 Uhr.
Ich erreiche Trient.
Ich bin müde und erschöpft. Assistence.
Vom Volksfest um mich herum, bekomme ich kaum etwas mit. Mir ist schlecht, aber Brühe geht immer. Selbstgekochte Kartoffeln helfen, wollen aber nicht so richtig rein. Nach einer 45 Minütigen Pause ist das Cut-Off-Gespenst plötzlich wieder da.
Ich muss weiter. Kann und will aber eigentlich gerade nicht. 30 Kilometer und 2 Berge über 2000 Meter liegen noch vor mir. Und natürlich auch zwei zugehörige Downhills. Es gibt hier einen Counter für Rennaufgabe. Läufer drängeln sich dort, wollen es hinter sich haben. Chipcodes werden aus Startnummern herausgeschnitten.
Für mich kommt das garantiert nicht in Frage!
Aufstieg nach La Catogne. Für die 5 Kilometer mit rund 820 Höhenmetern benötige ich ziemlich genau 1 Stunde und 40 Minuten. Für den Abstieg auf der anderen Seite genau so lange. Was würde ich dafür geben, noch einmal Downhills zu laufen, wie in La Fouly. Statt dessen eier ich über technisch sehr anspruchsvolle Singletrails voller Wurzeln, Steinen und sauglatten Passagen irgendwie nach unten und verliere ziemlich viel Zeit.

Motivierende Assistenz in Vallorcine
Grenze zu Frankreich.
Vallorcine.
Letzter Assistenzpunkt.
Ich bin müde und lege mich auf eine Holzbank.
Essen geht fast garnicht mehr.
Aufgeben erst recht nicht.
Kurz bevor ich Vallorcine nach einer halben Stunde Rast verlasse, komme ich am Ausgang wieder an einem Schreibtisch für Rennaufgabe vorbei.
In Gedanken hämmert ein
„F*** You“ durch meinen Schädel. Sorry dafür.
Aber ich will jetzt weiter, ich will ins Ziel. Ich will die rote Finisher-Weste. Ich will den gigantischen Zieleinlauf. Ich will das! Und ich kann! Attacke!
Ich gehe wieder auf die Strecke. Hinauf zum Col des Montets.
Morgendämmerung. Götterdämmerung. Wiederauferstehung. Sonnenaufgang.
Keine Schmerzen mehr, wenn überhaupt, dann höchstens Müdigkeit.
Ich marschiere den Berg hinauf. Cut-Off-Gespenst du kriegst mich nicht.
Jetzt werde ich dir von der Schippe springen. Rauf zum letzten Gipfel, zum Tête aux Vents.

„…Junge reiss dich zusammen, es ist nicht mehr weit bis ins Ziel!“
Der Aufstieg zieht sich unendlich in die Länge. Klettereien über große Felsblöcke.
Der Mont Blanc glänzt im diesigen Morgenlicht.
Nicht nur wir klettern hier.
Vor mir bricht eine Herde Steinwild über den Trail.
Wunderschöne Naturbilder brennen sich für immer in mein Herz.
Neben mir bleibt ein Steinbock stehen, nickt mir zu. Sagt mir: Junge reiss dich zusammen, es ist nicht mehr weit bis ins Ziel!
Gelbe Kuppel. Scan. Kletterei. Weiter nach La Flégère. Letzter Checkpoint. Ganz kurze Pause. Cut Off besiegt. Mein Handy piept. Freunde wünschen mir viel Spaß auf dem letzten 7 Kilometer langen Downhill ins Tal, bevor es auf die 2 Kilometer lange Ehrenrunde durch Chamonix und hinein ins Ziel geht.

Auf der 2 Kilometer langen „Ehrenrunde“ durch Chamonix
Laufen kann man das jetzt nicht mehr nennen. Traben. Stolpern. Gehen. Traben. Ich will nur noch nach unten und das gelingt mir eigentlich auch ganz gut.
Die ersten Häuser kommen in Sichtweite.
Dieser Moment, wenn du das erste mal den Sprecher hörst.
Und dann Chamonix. Zuschauer über Zuschauer. Ich treffe Sanne im Ortseingang. Wir liegen uns in den Armen, haben beide Tränen in den Augen.
Jetzt darf ich die letzten Beiden Kilometer genießen. Das Laufen wird auf einmal ganz einfach. Zuschauer. Jubel. Bonne Courage.
Alle rufen deinen Namen.
Noch größere Gänsehaut als am Start.
Noch mehr Zuschauer. Noch mehr Leute rufen deinen Namen. Jubel. Abklatschen. Immer mehr Zuschauer, die sich rechts und links des Wegs an der Absperrung drängen.
Und dann das letzte mal abbiegen auf die Zielgerade zum Place Triangle de l‘Amitié. Ein Teppich ist ausgerollt. Tobende Zuschauer. Ich laufe rein. Ein unglaubliches Gefühl. Ich habe es geschafft.

Zielbereich Place Triangle de l‘Amitié
Championsleage!
Die rote Weste ist mein.
Ich bin überglücklich.
Nie zuvor habe ich eine solche Distanz in Verbindung mit so vielen Höhenmetern an einem Stück in den Bergen bewältigt.
Und mein spontaner erster Gedanke:
Das werde ich sicherlich auch nicht wieder tun! Ich fühle mich demütig gegenüber dem Berg. Mein Respekt für die Teilnehmer auf den noch längeren Strecken ist noch größer, als er ohnehin schon war. Ich bin überwältigt.
Egal auf welcher Strecke du hier startest: Jeder Finisher ist ein Gewinner.
Und jeder Finisher wird auch als solcher vom Publikum gefeiert.

Im Ziel!
Und ich bin am Ziel.
Und ich genieße es!
Viele Bekannte sind hier.
Sanne, Chloe und ich feiern.
Die Sonne strahlt.
Ausgelassene Stimmung überall.
Wenn ich heute nach etwas mehr als einer Woche ein Fazit ziehe, bin ich mir sicher, dass ich zum Mont Blanc zurück kehren werde.
Ich habe mich in die Berge verliebt. Hier gibt es noch so viel zu erkunden und bereits während dieser unvergesslichen Woche habe ich mehrfach gesagt, dass ich unbedingt noch einmal wieder kommen muss, auch ohne an einem Wettkampf teilzunehmen.
Ich habe mich in die Herzlichkeit der Leute vernarrt.
Und ich bin dem Charme des UTMB hoffnungslos erlegen.

Glückliche Finisher und jede Menge rote Westen
Ob ich das nächste mal an einem der Rennen teilnehmen werde, weiß ich nicht.
Wenn ja, dann sicherlich besser ausgeruht als in diesem Jahr.
Den vielen Ultra-Wettkämpfen und Trainingsmarathons im Vorfeld musste ich nach hinten raus doch einen großen Tribut zollen und beim nächsten mal würde ich es noch mehr genießen wollen.
Wer weiß, vielleicht bin ich dann ja auf einer noch längeren Strecke unterwegs?
Qualifikationspunkte für den TDS, den CCC, sowie den UTMB hätte ich genug.
Hängt ja auch vom Losglück ab.
Ich glaube, ich kann mich ja mal bewerben…
nur für alle Fälle…

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